AZ SCHAFFHAUSEN

Neues Buch: Der Schaffhauser Keramikkünstler Gustav Spörri in Bild und Text

Gefässe – randvoll mit Farbe und Licht

von Praxedis Kaspar  21. März 2013

 

Eine Entdeckung:

Der Basler Kunstsammler und Publizist Markus Strübin lässt Leben und Werk des Schaffhauser Keramikkünstlers Gustav Spörri durch die Erinnerungen seiner Sammlerfreunde wieder lebendig werden. Der Text ist von prächtigen Fotografien begleitet.

v.l: Markus Strübin, Emil Tanner & Kari Mutter mit Buch und Sammlungsobjekten von Gustav Spörri. Foto: © Peter Pfister

Es ist ein Leben, geprägt von den Brüchen und Verwerfungen seiner Zeit, ein Leben aber auch, das Hunderte von irdenen Gefässen brauchte, um all das aufzufangen, was Gustav Spörri an Formen, Farben und Strukturen von sich «hergab» und einarbeitete in den Ton. Entstanden sind Gefässe, die, weil sie ja die Leere umhüllen, immer auch ein Versprechen sind. Markus Strübin hat also ein Buch geschrieben, das einerseits von den Erzählungen der Spörri-Sammler lebt, die fast immer auch Spörri-Freunde geworden sind, und das andererseits in wunderschönen Fotografien eben jene Gefässe zeigt, nebst Fotografien aus dem Leben des Keramikers, der von allen, die ihn kannten, auch als liebenswürdiger, dem Leben zugewandter und freundschaftsfähiger Mensch beschrieben wird. Der Blick auf die Arbeiten Gustav Spörris stärkt aber auch die Gewissheit, dass dieser Gestalter zu den besten Keramikern der Schweiz gehört und es mehr als verdiente, wenn Schaffhausen, das ihm in der zweiten Lebenshälfte zur Heimat wurde, ihn neu entdecken und mit einer Ausstellung ehren würde – viele seiner Arbeiten wirken auch heute noch hochmodern, in anderen materialisiert sich der jeweilige Zeitgeist auf interessante Weise. Als ersten Schritt könnte man sich vorstellen, dass die beiden skulpturhaften Bodenamphoren, die Spörri als Auftragsarbeit für das Schaffhauser Stadttheater geschaffen hat, nicht länger unbeachtet in einer Ecke stehen müssten, sondern dahin zurückkehren dürften, wo sie hingehören und auch passen: ins Foyer des Stadttheaters mit seinem Fünfzigerjahre-Groove. 

Eine Lücke geschlossen

Es ist das Verdienst von Markus Strübins sorgsamer Recherche, dass nun eine Lü­cke in der Geschichtsschreibung der an­ gewandten Kunst in der Schweiz ge­schlossen werden kann. Der Kunstsamm­ler Strübin, der vor Jahren eine prächti­ge Schale in wilden Farben erstanden hat­te, konnte schliesslich durch Zufall die Signatur Gustav Spörris identifizieren – und damit war es um ihn geschehen: Er forschte so lange, bis Leben und Werk des Keramikkünstlers wie ein offenes Buch vor ihm lagen – ohne allerdings alle Ge­heimnisse preiszugeben. Strübin wurde gewahr, dass es bis anhin zwar keine of­fizielle Würdigung von Spörris künstleri­scher Bedeutung gab, in den Häusern der Sammler und Liebhaber rund um Schafhausen und Neuhausen am Rheinfall aber war er gegenwärtig in seinen Arbei­ten und in den persönlichen Erinnerun­gen der Sammlerfamilien. Nicht zu ver­gessen, dass einige wenige Stücke auch im Museum zu Allerheiligen und im Samm­lungszentrum des Schweizerischen Natio­nalmuseums zu finden sind. Dass Strübin und seine Partnerin Bea Hänger ob der Be­schäftigung mit Spörri zu Spörri­ Samm­lern wurden, wen wunderts. Damit aber nicht genug: Er habe, sagt er anlässlich eines Besuchs bei den Sammlern Emil Tanner und Kari Mutter in Schaffhau­sen, durch die Arbeit am Buch neue gute Freunde gewonnen. Besonderen Wert legt der Verfasser auf die Feststellung, dass er nicht eine wissenschaftliche Publikation, sondern ein gut lesbares und reich bebil­dertes Geschichtenbuch für alle Interes­sierten geschrieben habe, was eine Lese­probe nur bestätigen kann.

Krieg in Dresden

Gustav Spörri wird 1902 als Sohn eines ausgewanderten Töpfers aus dem Tösstal im süddeutschen Zell am Harmersbach geboren, wo sein Vater in der örtlichen Keramikfabrik Arbeit gefunden hat. Der Junge tritt in die Fussstapfen des Vaters, macht eine Lehre als Keramikmaler und studiert als junger Erwachsener an der Majolika­ Manufaktur in Karlsruhe, an der Kunstgewerbeschule in Dresden und an der Kunstakademie in Wien. 1934 hei­ratet Spörri Liselotte Zickner, eine gebil­dete und fürsorgliche Frau, mit der er bis zu seinem Tod im Mai 1976 ehelich ver­bunden bleibt. Seit 1932 ist er Angestell­ter der berühmten Manufaktur Villeroy & Boch in Dresden, wo er zum künstleri­schen Leiter aufsteigt. Als Dresden 1945 bombardiert wird, muss er bangen um Frau und Adoptivtochter, von denen er durch den Krieg zeitweise getrennt wird. Gustav Spörri gerät in russische Gefan­genschaft und wird zu Zwangsarbeit ver­urteilt, 1948 schliesslich gelingt der wie­dervereinten Familie mit Unterstützung aus Bern die Flucht in die Schweiz, wo noch im gleichen Jahr die Tochter Hei­de geboren wird. Gustav Spörri zieht nach einem kleinen Umweg über Thun nach Neuhausen am Rheinfall, wo er bald künstlerischer Leiter der kunstke­ramischen Abteilung der Tonwarenfab­rik Ziegler wird. Im Jahr 1951 baut sich die Familie das Wohn­ und Atelierhaus im Trubegüetli, wo Spörri ab 1965 als Keramiker und freier Kunstschaffender tätig ist, während seine Frau in der Fir­ma Coffex arbeitet und auf diese Weise für die unerlässliche materielle Lebens­ grundlage sorgt. Freunde, Bekannte so­ wie Kundinnen und Kunden besuchen Haus und Atelier und müssen nicht sel­ten um besonders schöne Stücke kämp­fen, weil insbesondere Frau Lilo die Meis­terwerke ihres Mannes ungern hergibt. Ein Wermutstropfen ist die Nichtbeach­tung und nicht selten sogar Ablehnung durch die örtliche Kunstszene, die von Spörri kaum Notiz nimmt, ihn nicht zu Ausstellungen einlädt und ihn mehr oder minder totschweigt.

Zwischen Stuhl und Bank

Es war wohl die persönliche Tragik des Auswandererbuben mit dem Schwei­zer Pass, dass er zeitlebens nicht Dialekt sprach und dass er in einer Zeit der über­ lebenswichtigen Abwehr gegen Nazi­ deutschland unmittelbar nach dem Zwei­ten Weltkrieg mit seiner deutschen Frau in die Schweiz flüchtete – und so gewis­sermassen zwischen Stuhl und Bank ge­riet. Fast niemand in Schaffhausen woll­te 1948 wissen, was das für ein seltsamer Schweizer war, der wie ein Deutscher re­dete und der die ganze Zeit des Krieges über in Deutschland gelebt hatte. Den­ noch: Spörri blieb und fand mit der Zeit auch Freunde, die ihn als Mensch und Künstler achteten und schätzten. Viele von ihnen, zum Beispiel Emil Tanner aus Schaffhausen und später auch Kari Mut­ter, wurden zu grossen Spörri ­Fans und Sammlern. In seiner Lehrzeit als KV­-Stift in der Neuhauser Steinzeugfabrik AG fand Emil Tanner sich regelmässig bei Gustav Spörri in der benachbarten Ton­warenfabrik Ziegler und später in Spörris Atelier im Neuhauser Trubegüetli ein zu philosophischen Gesprächen über Gott und die Welt. Noch heute schaut Emil Tanner dankbar zurück auf jene Zeit, in der es kein Thema gab, das er mit dem vä­terlichen Freund, der soviel erlebt hatte, nicht besprechen konnte und wo er sich auch bei Spörris Gattin Liselotte willkom­men fühlte und nicht selten mit zu Tisch gebeten wurde oder neben dem im Lehn­stuhl schlafenden Künstler am Brenn­ofen wachte, bis der Moment gekommen war, das Ofentürchen zu öffnen und ei­nen ersten Blick auf die schimmernden Kreationen zu werfen.

Praxedis Kaspar Schmid  21.03.2013